Arm in München | Caritas

Arm in München Leitfaden für einen differenzierten Umgang mit Armut und Betteln auf Münchens Straßen

Vorwort Deutschland gilt als wohlhabendes Land. München ist eine der reichsten Städte Deutschlands mit hoher Wirtschaftskraft und Lebensqualität. Von diesem Wohlstand sind dennoch viele Menschen im Land und in München ausgeschlossen. Die Armut auf Münchens Straßen nimmt zu: Wir sehen jeden Tag Menschen, die Abfalleimer nach Pfandflaschen oder Essbarem durchsuchen, bettelnde Menschen, Menschen, die auf Parkbänken oder unter Brücken schlafen. Menschen, die um eine warme Mahlzeit anstehen, Menschen, die auf eine Arbeit als Tagelöhner hoffen. Es sind junge und alte Menschen, es sind Menschen mit und ohne Migrationshintergrund, es sind Menschen, die teils mit Suchterkrankungen oder psychischen Erkrankungen leben. Sich überlagernde Krisen, die Nachwirkungen der Corona-Pandemie, die Inflation, der Klimawandel, die hohen Energie- und Lebenshaltungskosten – es gibt viele Faktoren, die die Situation für sie zusätzlich verschärfen. Armut gehört in München zum Stadtbild – nicht nur im öffentlichen Raum rund um den Hauptbahnhof, sondern auch mehr und mehr in den angrenzenden Stadtbezirken und darüber hinaus. Wir als Caritasverband der Erzdiözese München und Freising e. V. helfen und unterstützen, wo immer es möglich ist, und versuchen die Menschen so zu stärken, dass sie möglichst ein selbstbestimmtes Leben führen können. Wir dürfen die betroffenen Mitmenschen nicht unsichtbar machen, sondern müssen immer wieder neu auf diesen unhaltbaren Zustand aufmerksam machen. Wir dürfen uns daran nicht gewöhnen! Mit diesem Leitfaden wollen wir dazu beitragen. Denn unser Auftrag ist unser Selbstverständnis „Nah. Am Nächsten“ zu sein. Und wir orientieren uns an den Zielen für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen: Armut ist vielschichtig. Armut kann jeden und jede treffen. Gabriele Stark-Angermeier Harald Bachmeier Vorständin Caritasverband der Erzdiözese Geschäftsleiter München und Freising e.V. Geschäftsbereich Caritas München Ziel 1 Keine Armut Ziel 2 Kein Hunger Ziel 10 Weniger Ungleichheiten Arm in München | 3

Inhaltsverzeichnis Vorwort ������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������ 3 Einleitung �������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 5 Welche Formen von Armut begegnen uns auf der Straße? 6 Was kann dazu führen, dass Menschen in München in Armut leben? 8 Stimmt mein Gefühl, dass die (sichtbare) Armut in München zugenommen hat? 9 Warum sollte es mir nicht egal sein, wenn immer mehr Menschen verarmen? 12 Warum neigen wir trotzdem dazu, wegzuschauen, wenn wir bedürftige Menschen sehen? 14 Wie kann in München überhaupt jemand arm sein? Wir haben doch ein hohes Lohnniveau. 15 Warum müssen Menschen bei uns auf der Straße leben? Es gibt doch Einrichtungen. 17 Sind Verbote und Platzverweise ein wirksames Mittel, um die Armut auf Münchens Straßen einzudämmen? 19 Ist die Not von bettelnden Menschen echt? 20 Ist Betteln überhaupt erlaubt? 20 Gibt es in München organisierte Bettelbanden? 21 Was kann ich tun, wenn ich mich durch einen bettelnden Menschen bedrängt fühle? 22 Soll ich obdachlosen und/oder bettelnden Menschen Geld geben? 23 Wie viel sollte ich geben? Gibt es da eine Empfehlung? 24 Sind Lebensmittel oder Gutscheine nicht sinnvoller als Geldspenden? 24 Anregungen im Umgang mit Betteln 25 Einrichtungen, die Beratung und Unterstützung anbieten – eine Auswahl 26 Danksagung an alle Mitwirkenden �����������������������������������������������������������������������������������������28 Impressum �����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������30 Literatur und Websites ��������������������������������������������������������������������������������������������������������� 31 4 | Arm in München

Einleitung In diesem Leitfaden schauen wir auf die Armut, die uns im öffentlichen Raum begeg- net und die einen Ausschnitt der Armutsrealität in München darstellt. Für viele ist sie schwer auszuhalten und löst ganz unterschiedliche Gefühle und Reaktionen aus. Die Bandbreite reicht von Betroffenheit, Unsicherheit und auch Hilflosigkeit bis hin zu Unverständnis, Widerwillen und Ekel. Auf Fragen, die viele beschäftigen und denen wir im Alltag als Wohlfahrtsverband immer wieder begegnen, möchten wir Antworten geben und zu einem tieferen Verständnis und einer differenzierten Haltung beitragen. Dafür beleuchten wir Faktoren, die Armut begünstigen und bei einigen Menschen in teils extreme Notlagen münden. Die Menschen, die uns auf der Straße begegnen, machen diese Notlagen in Teilen für die Öffentlichkeit sichtbar. Wir thematisieren hier auch die Folgen, die daraus für den Einzelnen/die Einzelne und die Gesellschaft erwachsen. Wir haben hierzu mit Betroffenen gesprochen und mit den Mitarbeitenden verschiedener Anlaufstellen, dem Ordnungsamt und dem Polizeipräsidium. Zudem zitieren wir aus aktuellen Statistiken, insbesondere dem letzten Münchner Armutsbericht. Und wir dürfen Textpassagen aus der Broschüre „Arm in Köln“ vom Caritasverband für die Stadt Köln e.V. verwenden. Armut ist vielschichtig und komplex. Dieser Leitfaden kann als Annäherung an den beschriebenen Ausschnitt der Armutsrealität verstanden werden. Woher rührt die Not der Menschen auf der Straße? Was sind die Folgen für den Einzelnen /die Einzelne und die Gesellschaft? Was kann ich selbst tun, um der wachsenden Armut in der Stadt entgegenzuwirken? Arm in München | 5

Armut begegnet uns an vielen Stellen in der Stadt. Wir sehen Menschen, die in Mülleimern nach Verwertbarem suchen, Verkäufer/-innen der BISS-Zeitung oder Menschen, die auf dem Bürgersteig mit einem Pappschild mit der Aufschrift „Ich habe Hunger!“ sitzen. Wir sehen Menschen anstehen für die Ausgabe einer warmen Mahlzeit, bei der Lebensmittelausgabe oder der Kleiderkammer. Manche Not ist erst auf den zweiten Blick sichtbar: beispielsweise, wenn Kin- der im Winter Kleidung tragen, die nicht der Jahreszeit entspricht. Armut lässt sich in absolute und relative Armut unterscheiden. Als absolut arm gilt, wer nicht einmal die körperlichen Grundbedürfnisse (Nahrung, Kleidung, Wohnung, medizinische Grundversorgung) befriedigen kann. Das sind beispielsweise Menschen, die auf der Straße, unter Brücken oder in Häusernischen schlafen. Ihre Tage verbringen sie mit Betteln oder als Tagelöhner. Viele unter ihnen sind krank, manche von Drogen und Alkohol gezeichnet. Sie konfrontieren uns täglich damit, dass es in diesem reichen Land, in dieser reichen Stadt, echte, absolute Armut gibt. Welche Formen von Armut begegnen uns auf der Straße? 6 | Arm in München

Relative Armut betrifft Menschen, die im gesellschaftlichen Vergleich wenig finanzielle Mittel zur Verfügung haben und daher nur erschwert am sozialen Leben teilhaben können. Relative Armut orientiert sich also am sozialen Umfeld eines Menschen. Sie zeigt sich beispielsweise, wenn ab der Mitte des Monats das Geld aufgebraucht ist, wenn Menschen in schlecht sanierten Wohnungen leben müssen und/oder ein Kinobesuch einen nicht stemmbaren Luxus darstellt. Den Betroffenen fehlen die Ressourcen, um sich aus diesen Zuständen zu befreien. „Die Betroffenen sind oft ausgegrenzt, sie gehören nicht mehr dazu und fühlen sich im gesellschaftlichen Abseits. Die Folge ist eine Spaltung der Gesellschaft, in die, die arbeiten und sich viele Dinge leisten können und jene, die am Rand stehen. Besonders schlimm ist so eine Situation für Kinder. Beispielsweise plant der Fußballverein eine Wochenend-Fahrt nach Österreich und alle Eltern werden aufgefordert, innerhalb einer Woche 130 € zu überweisen. Es wird vorausgesetzt, dass dies allen Eltern möglich ist. Sich immer wieder erklären zu müssen, zermürbt und führt oft dazu, dass solche Situationen gleich vermieden werden – in der Folge besuchen dann eben nur noch Kinder aus besser gestellten Elternhäusern den Fußballverein. Die anderen Kinder lernen dadurch, dass sie gar nicht richtig zur Gesellschaft gehören.“ J. Hasiba, Soziale Beratung, Caritas München Auf Münchens Straßen begegnet einem beides: Menschen, die von absoluter Armut betroffen sind (etwa obdachlose Menschen) und zunehmend auch Menschen, die in relativer Armut leben (beispielsweise Senioren/-innen nach Renteneintritt, die sich in die Schlange zur Kleiderkammer einreihen). „Rentner/-innen kommen hierher für Essen und Kleidung, vielleicht auch um zu duschen. Sie wollen Geld einsparen, sodass sie in ihren Wohnungen bleiben können, weil die Rente nicht reicht.“ Obdachlosenhilfe St. Bonifaz Arm in München | 7

Was kann dazu führen, dass Menschen in München in Armut leben? Es gibt vielschichtige Ursachen dafür, dass Menschen in eine solche Lage geraten. Armut begünstigen können u.a. diese Faktoren: In Armut geraten besonders häufig Menschen im Niedriglohnsektor und Teilzeitbeschäftigte, Menschen mit Fluchterfahrungen und/ oder Migrationsgeschichte, ältere Menschen mit niedriger Rente sowie (Langzeit)arbeitslose und chronisch kranke Menschen. Überproportional betroffen sind Alleinerziehende und kinderreiche Familien. Die Zahl der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die in ihren Familien Armutsphasen erleben, steigt. Das ist alarmierend, denn Armutsrisiken verfestigen sich über die Zeit und können so den weiteren Lebensverlauf prägen. Oder wie es im aktuellen Münchner Armutsbericht heißt: „Kinder sind von Armut betroffen, weil ihre Eltern von Armut betroffen sind.“1 Man muss sich einschränken, wenn man Kinder hat, wenn man keinen Partner hat … Auch die öffentlichen Verkehrsmittel sind teuer. Will man einmal rausfahren, das summiert sich auf über 100 €.« Anonym aus München Geringe Schulbildung · prekäre Arbeitsverhältnisse · Teilzeitbeschäftigung Brüche in der eigenen Erwerbstätigkeit oder in der der Eltern (Langzeit-) Arbeitslosigkeit · Tod des Lebenspartners · Trennung · Scheidung (langwierige) Erkrankungen · Sucht · psychische Erkrankungen · Flucht · Migration Pflege eines kranken Angehörigen · Alleinerziehend · Mehrkinder-Haushalte 8 | Arm in München 1 Alle Fußnoten werden auf Seite 31 erläutert.

Man muss heute schon mit Blindheit geschlagen sein, wenn einem die Armut auf Münchens Straßen entgeht. Gefühlt an jedem U-Bahnaufgang, jeder Hausecke und jedem Supermarkt, auf jedem Platz oder auf jeder Grünfläche sieht man mindestens einen Menschen, der bettelt, eine Straßenzeitung verkauft oder Flaschen sammelt. Nicht nur subjektiv, auch objektiv ist die sichtbare Armut gestiegen. Nicht zu sprechen von jenen Menschen, denen zunächst nicht anzusehen ist, dass ihre Situation prekär ist. Viele Menschen schämen sich ihrer Armut. Gerade ältere Menschen trauen sich oft nicht, um Hilfe zu bitten. Zahlreiche von Armut betroffene oder armutsgefährdete Menschen achten bewusst auf sich und ihre äußere Erscheinung, sind gepflegt und zum Teil gut gekleidet. Sie fallen im Alltag kaum bis gar nicht auf und werden erst dann sichtbar, wenn sie sich zur Essensausgabe anstellen oder in der Kleiderkammer nach einer neuen Jacke suchen. „In reicheren Gegenden sieht man es vielen Älteren erst recht nicht an, dass sie wenig Geld haben. Damit man es rein äußerlich nicht erkennt, kleiden sie sich zum Beispiel zum Mittagstisch im Alten- und Service-Zentrum besonders gut. Viele ärmere Ältere passen sich selbst und ihren Lebensstil an die Verhältnisse an, anstatt die Verhältnisse zu ändern. So isst eine ältere arme Frau nur noch jeden dritten Tag eine warme Mahlzeit, da das Geld nicht reicht. Sie könnte auch die ihr zustehenden Sozialleistungen, wie Grundsicherung, einfordern und sich so zu ihrem Recht verhelfen. Das tut sie aber aus Scham nicht.“ T. Deger, Alten- und Servicezentrum, Caritas München Stimmt mein Gefühl, dass die (sichtbare) Armut in München zugenommen hat? Ich habe meine Wohnung, ich bin gepflegt und mir sieht man vielleicht vom äußeren Erscheinungsbild die Armut nicht an. Aber das ist bei mir eigentlich eine versteckte Armut … In dem Stadtteil, in dem ich lebe, will ich nicht zur Tafel, weil ich die Scham habe, mich erkennt jemand aus dem Wohnumfeld. Ich zeige meine Armut nicht nach außen.« H. aus München Arm in München | 9

In Deutschland verharrt die Armutsquote auf weiterhin hohem Niveau. Die Lebenssituation vieler betroffener Menschen hat sich im Zuge der multiplen Krisen der letzten Jahre nochmals deutlich verschärft. In der Regel gilt eine Person als akut armutsgefährdet, wenn ihr Einkommen weniger als 60 % des mittleren Einkommens beträgt. Nach diesem von der EU gesetzten Standard beläuft sich der Anteil armer Menschen in Deutschland auf 16,9 %2, was 14 Millionen Betroffenen entspricht und einen neuen Höchststand markiert. In Bayern leben 12,8 %3 unter dieser Armutsschwelle. In München liegt der Anteil an Personen, deren Einkommen weniger als 60 % des mittleren Einkommens beträgt, bei 10,2 %4. Dennoch gelten in der Landeshauptstadt 17 % als armutsgefährdet5. Grund dafür ist, dass die Armutsschwelle für München seit 2022 stetig angehoben wird. Sie liegt aufgrund der hohen Lebenshaltungskosten in der Stadt aktuell um 320 € höher als die vom Bund festgelegte Armutsschwelle. Wem in einem Single- Haushalt weniger als 1.660 € netto pro Monat zum Leben bleiben, ist damit armutsgefährdet (Stand April 2023). Die Armutsschwelle ist Grundlage für die Gewährung freiwilliger Leistungen des Sozialreferats, z. B. dem München-Pass oder dem kostenlosen Mittagstisch in den Alten- und Service-Zentren. FAKTENCHECK Armut in München Für die Schweizer Sozialarbeiterin und Sozialwissenschaftlerin Silvia Staub-Bernasconi bedeutet Armut in einem reichen Land „sich täglich zwischen der Befriedigung biologischer, sozialer, kultureller und psychischer Bedürfnisse entscheiden zu müssen“.6 Meine Eltern waren zwar fleißige Arbeiter, aber die sind nie zu Geld gekommen. Da haben wir als Kinder schon mitarbeiten müssen. Der Papa hat bei Leuten Holz gemacht und wir als Kinder haben schon mithelfen müssen. Wir sind mit der Arbeit aufgewachsen. Wir waren fünf Kinder. Das gibt man halt dann auch an die Kinder weiter.« R. aus München 10 | Arm in München

62 % der armen Haushalte in München müssen 40 % oder mehr ihres Nettoeinkommens für die Miete aufwenden7. Für weitere Ausgaben – etwa Lebensmittel, Freizeit oder Bildung – bleibt den betroffenen Münchner/-innen dann vergleichsweise weniger Geld. Besonders hoch ist die Mietbelastung für Alleinerziehende. Da es sich bei alleinerziehenden Elternteilen überwiegend um Frauen handelt, sind sie besonders betroffen. Menschen mit Migrationshintergrund haben zudem weniger Chancen, auf dem freien Mietmarkt eine Wohnung zu finden. Diese Notlage wird oftmals von unseriösen Vermieter/-innen ausgenutzt, die mitunter bis zu 1.500 € für ein Bett in einem Dreibettzimmer verlangen. FAKTENCHECK Wohnen in München In München ist Wohnraum knapp und die Mieten sind teuer. Wer in der Landeshauptstadt lebt, muss im Vergleich zu Menschen im übrigen Bundesgebiet einen höheren Anteil vom Haushaltsnettoeinkommen für das Mieten von Wohnraum aufbringen. Das belastet armutsbetroffene Haushalte zusätzlich. Arm in München | 11

„Die Mehrheitsbevölkerung möchte nicht täglich mit Armut konfrontiert werden.“ Reinhard Kardinal Marx Armut ist mit Leid im Leben der betroffenen Menschen verbunden und schadet zugleich der Gesellschaft als Ganzes. > Je mehr Menschen in Armutslagen geraten, desto höher sind auch die staatlichen Sozialausgaben, etwa Grundsicherung im Alter oder Hilfen zur Überwindung schwieriger sozialer Lebenslagen. Diese Kosten stemmen wir als Gesellschaft gemeinsam. Umgekehrt profitiert die Gesellschaft als Ganzes, wenn sich die Strukturen derart verändern, dass weniger Menschen in Armut geraten und/ oder schnell wieder aus der Armut heraus- kommen. > Wenn Bildungsniveaus auseinanderdriften und Bildungsarmut immer mehr Menschen betrifft, sollte uns das Sorgen machen, denn gute Bildung ist eine Grundlage für wirtschaftliche Prosperität. Sie wirkt sich sowohl auf den gesellschaftlichen Wohlstand wie auch auf die Lebensbedingungen jedes Einzelnen/jeder Einzelnen aus. Warum sollte es mir nicht egal sein, wenn immer mehr Menschen verarmen? > Verfestigt sich Chancenungleichheit innerhalb der Gesellschaft, werden arme Menschen bei gesellschaftlichen Entwicklungen vermehrt zurückgelassen, das gilt z. B. für die Digitalisierung. Wenn Termine beim Arzt oder dem Bürgerhaus nur noch online vereinbart werden können, sind Menschen mit geringen digitalen Kenntnissen oder ohne entsprechende Geräte abgehängt. Ein Problem, das besonders arme und alte Menschen betrifft. > Menschen können am gleichen Ort und doch unter komplett unterschiedlichen Lebensverhältnissen leben. Sind Chancen zu ungleich verteilt und driften die Sozialräume weit auseinander, besteht die Gefahr der Entfremdung. Das gegenseitige Verständnis droht verloren zu gehen. Dadurch sinkt die Bereitschaft, etwas für die jeweils andere Personengruppe zu tun. Auch eine politische Polarisierung, die sich negativ auf die Demokratie und die politische Kultur auswirkt, kann dadurch verstärkt werden. „Allgemein lässt sich sagen, dass eine Armut an sinnerfülltem Leben unserer Klienten besteht.“ A. Patij, Sozialpsychiatrischer Dienst, Caritas München 12 | Arm in München

FAKTENCHECK Folgen von Armut für die Betroffenen Armut mindert Chancen in der schulischen Bildung und auf dem Arbeitsmarkt. Arme Menschen leben meist in beengten Wohnverhältnissen. Wer arm ist, wird häufiger und schneller krank, schlechter gesund und hat eine geringere Lebenserwartung. Statistisch betrachtet beträgt die Differenz der mittleren Lebenserwartung zwischen Menschen mit geringem und hohem Einkommen in Deutschland 8,6 Jahre bei Männern und 4,4 Jahre bei Frauen.8 Betroffene sind zudem einsamer, ärmer an sozialen Kontakten und nehmen weniger am gesellschaftlichen Leben teil. Armut begünstigt Depressionen bzw. psychische Erkrankungen, langwierige Krankheiten und Suchterkrankungen. Auch wird Armut in der Gesellschaft als Stigma wahrgenommen. Arm zu sein, wird als individueller Makel, als Charakterfehler angesehen. Für Betroffene, die mit dieser Sichtweise ständig konfrontiert sind, bedeutet das die wiederholte Erfahrung von Entwürdigung, Beleidigungen und Missachtung. Das hinterlässt Spuren im Selbstbild. Die eigene und die von außen vermittelte Geringschätzung führen zum Ausschluss aus sozialen Beziehungen. Armut, das bedeutet einen nicht zu unterschätzenden, das Leben, die Gesundheit und die Seele schädigenden permanenten Stressfaktor. In gewisser Weise macht es schon einsam, wenn man plötzlich weniger Geld hat. Ich trinke z. B. fast nur noch zuhause Kaffee, weil 2,50 bis 3,00 € für eine Tasse Kaffee, das ist einfach Wahnsinn – das kann’s doch nicht sein!« G. aus München Arm in München | 13

Ich hatte durch meinen LKW-Führerschein immer Jobs gehabt. Was mich extrem aus der Bahn geworfen hat: Vor 14 Jahren bin ich Diabetiker geworden und damit war mein LKW-Führerschein futsch. Die Sehkraft schwankte dann dermaßen, dass sie mir den Führerschein nicht mehr genehmigt haben. Was macht man dann mit 53? Da gibt’s nichts mehr.« G. aus München Warum neigen wir trotzdem dazu, wegzuschauen, wenn wir bedürftige Menschen sehen? Viele fühlen sich unsicher und hilflos, tabuisieren das Thema und schauen lieber weg, als sich der Realität zu stellen und sich mit der unangenehmen Kehrseite unserer Konsum- und Wohlstandsgesellschaft oder auch dem eigenen Tun auseinanderzusetzen. So haben viele Menschen Angst, selbst einmal ein solches Schicksal zu erleiden: Wer kümmert sich im Alter um mich, wenn ich dement bin? Wird das, was ich vorgesorgt habe, einmal ausreichen? Was ist, wenn ich krank werde? Sich mit der Not anderer auseinanderzusetzen, bedeutet zudem eine Kraftanstrengung, die man nicht immer leisten kann oder will. Manchen fällt es schwer, nachzuvollziehen, wie andere in eine solche Lage geraten und warum es so schwierig ist, sich daraus zu befreien. Wie schnell ein „Abstieg aus der Gesellschaft“ erfolgen kann, davon zeugen zahlreiche Geschichten. Meist sind es mehrere Schicksalsschläge, die zusammenkommen. Manches Mal reicht ein Moment aus, um eine ganze Kettenreaktion in Gang zu setzen: Jobverlust, Überschuldung, häusliche Gewalt, Trennung, Räumungsklage usw. Wer schon in jungen Jahren materielle und seelische Not erfahren hat, kämpft oft ein Leben lang damit, diese zu überwinden. 14 | Arm in München

Wie kann in München überhaupt jemand arm sein? Wir haben doch ein hohes Lohnniveau. Wer Vollzeit arbeitet, sollte in der Lage sein, von seinem Lohn zu leben und sich und seine Familie zu versorgen. Die Realität zeigt: Das ist ein Trugschluss. In München waren 2020 etwa 20 % der sozialversicherungspflichtigen Vollzeitbeschäftigten im Niedriglohnbereich tätig und von Erwerbsarmut betroffen9. Von Erwerbsarmut spricht man gemäß EUDefinition, wenn eine erwerbstätige Person mindestens sechs Monate im Jahr arbeitet und weniger als 60 % des mittleren Einkommens erzielt. Damit lebt sie unterhalb der Armutsgrenze. Für München bedeutet das, dass einer alleinstehenden Person ein Netto-Einkommen von rund 1.470 € zum Leben bleibt. Dieser Betrag liegt noch ganze 190 € unter der in 2023 festgelegten Münchner Armutsgefährdungsschwelle von 1.660 €. „Geringfügige Beschäftigungsverhältnisse sind keine Maßnahme zur Armutsbekämpfung. Im Gegenteil: Sie verfestigen Armut.“ Joachim Unterländer, Vorsitzender des Landeskomitees der Katholiken in Bayern Ein genauerer Blick auf die von Erwerbsarmut betroffenen Menschen zeigt: Fürsorgearbeit, etwa für Kinder oder ältere Angehörige, kommt häufig einem Einkommensverlust gleich, der sich wiederum negativ auf die Höhe der Rente niederschlägt. Ein Großteil der Frauen arbeitet in Teilzeit, um Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen. Aufgrund der durch die Pflege reduzierten Arbeitszeiten lebt zudem jede vierte Frau, die eine/-n Angehörige/-n pflegt, in Armut.10 Weiter führen eine geringe Schulbildung oder mangelnde Sprachkenntnisse oftmals zu prekären Arbeitsverhältnissen. Häufig reichen die so generierten geringen Einkommen und die späteren Rentenbezüge nicht aus, um den Lebensunterhalt sorgenfrei bestreiten zu können. Wer arbeitet, hat somit keine Garantie auf ein Leben frei von Armut. Arm in München | 15

FAKTENCHECK Haushaltsplan einer vierköpfigen Familie, Eltern in Vollzeit im Reinigungssektor tätig Der Familie verbleiben 465 € im Monat für Dinge des täglichen Bedarfs (Lebensmittel, Hygieneartikel, etc.) sowie für Kultur, Sport und Freizeitaktivitäten. EINNAHMEN FIXE AUSGABEN Mann Netto 1.300 € Miete kalt 1.650 € Frau Netto 1.300 € Betriebs- und Nebenkosten 450 € Kindergeld 500 € Strom 180 € Internet 35 € Handy 4 mal 40 € Fahrtkosten 200 € Versicherungen 80 € Gesamt 3.100 € Gesamt 2.635 € Der Sachbearbeiter wollte mich aus der Wohnung rausschmeißen mit drei Kindern, weil die Miete um 50 € zu viel war. Dafür sollte ich ausziehen und mir eine Wohnung suchen – mit drei Kindern – keine Chance.« Anonym im Leistungsbezug 16 | Arm in München

Eine weit verbreitete Annahme ist, dass in Deutschland keiner obdachlos sein muss. Theoretisch trifft das zu, da Kommunen verpflichtet sind, Schlafnotstellen und Wohnraum zur Vermeidung von Obdachlosigkeit zur Verfügung zu stellen. Die Praxis sieht jedoch ganz anders aus. Da bezahlbarer Wohnraum knapp ist, kann nicht in jedem Fall eine Wohnung angeboten werden. Dann ist es nicht selten die Einfachpension mit vier Betten in einem Zimmer. Das ist nicht für jede/-n erträglich. Hinzu kommt, dass unzählige Menschen, die auf der Straße leben, weder Ausweis noch Geburtsurkunde besitzen. Ohne diese geht bei Ämtern und Behörden häufig gar nichts. Viele Menschen schaffen es aufgrund sprachlicher Barrieren und bürokratischer Hürden nicht, sich ohne Hilfe neue Papiere zu beschaffen. Unterstützung für Menschen auf der Straße gibt es in Form zahlreicher Kontakt- und Bera- tungsstellen. Das Angebot reicht vom Obdach- losenfrühstück über mobile medizinische Dienste und Suppenküchen bis hin zu Jobs in Beschäftigungsprojekten. Der Weg zurück in die vermeintliche Normalität bleibt für viele Betroffene, die seit Jahren auf der Straße leben und nicht selten psychisch erkrankt sind, aber schwierig. Es gibt Menschen, die Hilfsangebote ablehnen. Die keine Wohnung mehr wollen. Die ihr soziales Umfeld auf der Straße nicht verlassen möchten. Die die beengten Räume und Regeln des nachbarschaftlichen Zusammenlebens nicht mehr ertragen können. Sie bleiben immer Teil unserer Gesellschaft. Warum müssen Menschen bei uns auf der Straße leben? Es gibt doch Einrichtungen. Die Situation in den Notunterkünften mit den Mehrbettzimmern ist so schlimm, das ist Schikane. Man wird mit irgendwelchen Fremden zwangsweise zusammengewürfelt.« C. aus München, obdachlos Arm in München | 17

Begegnungszentrum D3 Täglich besuchen 160 Personen, die ihren Lebensmittelpunkt im öffentlichen Raum rund um den Hauptbahnhof München haben (Stand 2023), das Begegnungszentrum. Die meisten Besucher/-innen leben von der Hand in den Mund. Buchstäblich. Manche kommen im Winter mit nassen Socken zur Tür herein, manche tragen noch das Namensschild aus dem Krankenhaus oder der Psychiatrie am Handgelenk. Das Zentrum gibt diesen Menschen, die im öffentlichen Raum unerwünscht sind, Platz zum Da-Sein. So können sie ihre Menschenwürde wahren. Dort können sie sich duschen, sie können der Einsamkeit entfliehen, in einem geschützten Raum niederprozentigen Alkohol konsumieren und erhalten täglich eine Suppe, oft ihre einzige warme Mahlzeit am Tag. 18 | Arm in München

Sind Verbote und Platzverweise ein wirksames Mittel, um die Armut auf Münchens Straßen einzudämmen? Während Corona war es schon krass. Ich war während dieser Zeit obdachlos. Da musste man sich während der Ausgangssperre rechtfertigen, dass man draußen unterwegs ist und zu seiner Platte geht.« G. aus München Dieser Ansatz bekämpft Symptome, nicht aber die Ursachen. So wird er als Lösungsstrategie immer unzureichend bleiben. Bettler/-innen und Obdachlose vermeiden solche Gängelungen. Sie wandern weiter oder tauchen an anderer Stelle wieder auf. Heute haben wir in unserer Gesellschaft kaum noch Platz für diejenigen, die wir aussortiert haben. Das Thema gehört sozialpolitisch in die Mitte und nicht an den Rand der Gesellschaft. Oberstes Ziel sollten menschenwürdige Lebensbedingungen und Chancengleichheit für alle Menschen in unserer Gesellschaft sein. Arm in München | 19

Betteln ist Ausdruck einer extremen Notlage. Für jeden bettelnden Menschen gilt: Keiner lebt ohne Not und ohne Grund auf der Straße. Dieser kann für mich nachvollziehbar sein oder nicht. Betteln ist oft die letzte verbleibende Option, das Überleben zu sichern. Bettler/-innen sind schutzlos Hitze, Nässe und Kälte ausgesetzt. Es fehlt ein Rückzugsort. Häufig sind sie krank. Mitunter müssen sie Anfeindungen der Vorbeigehenden ertragen. Der Alltag von Bettler/ -innen ist nicht leicht. Das „stille Betteln“ in München ist nicht verboten und nicht strafbar. „Aggressives Betteln“ allerdings kann als Nötigung eingestuft und geahndet werden. „Aggressives Betteln“ liegt vor, wenn die angesprochene Person z. B. beleidigt, berührt, verfolgt oder ihr der Weg versperrt wird. Werden falsche Lebensumstände wie Blindheit oder eine verlorene Geldbörse vorgetäuscht, gilt das als Betrug.11 Bei aggressivem Betteln kann ich Strafanzeige stellen. Zudem können Kommunen bandenmäßiges oder organisiertes Betteln untersagen. Nach der Allgemeinverfügung der Landeshauptstadt München vom August 2014 ist aggressives oder organisiertes Betteln innerhalb des Altstadtrings und am Hauptbahnhof verboten.12 Das Kreisverwaltungsreferat (KVR) und die Polizei konstatieren seitdem innerhalb wie außerhalb dieses Geltungsbereichs einen Rückgang aggressiver Bettelvorkommnisse; seit 2018 zeichnet sich dieser noch deut- licher ab. Ist die Not von bettelnden Menschen echt? Ist Betteln überhaupt erlaubt? 20 | Arm in München

Die Polizei in München hat keine belastbaren Hinweise auf kriminelle Strukturen, innerhalb derer Personen gezielt zum Betteln genötigt werden. Zugleich ist laut dem KVR grundsätzlich festzuhalten, dass der Nachweis von „bandenmäßigem Betteln“ nur sehr schwer und personalaufwändig zu führen ist. Richtig ist, dass sich die Bettler/-innen zum Teil untereinander zusammenschließen. Ihre starke Familien- und Gruppensolidarität führt dazu, dass sie sich gemeinsam auf die Reise machen, gemeinsam wohnen und das Betteln gemeinsam organisieren. Im Fami- lienverbund bettelnde Menschen, die auch einen gewissen Organisationsgrad aufweisen, zählen jedoch nicht zu den verbotenen (kriminellen) Bettelbanden. Gibt es in München organisierte Bettelbanden? Seit dem 1. Januar 2014 gibt es keine Arbeitsbeschränkungen mehr für Menschen aus den südosteuropäischen Ländern der EU. In diesen Ländern finden viele keine dauerhafte und bezahlte Beschäftigung, die es ihnen ermöglichen würde, ihren Lebensunterhalt annähernd zu bestreiten. Die betroffenen Menschen erhalten in ihrer Heimat Sozialhilfe von nur 150 € pro Monat oder eine kleine Rente. Es bleiben ihnen dort nur gelegentliche Tagelohnarbeiten. Die extreme Verarmung veranlasst viele, in Deutschland ein Auskommen zu suchen. Aufgrund fehlender Sprachkenntnisse bieten sich ihnen jedoch nur eingeschränkt Arbeitsmöglichkeiten. Gelingt es ihnen nicht, eine Beschäftigung zu finden, dann bleibt als einzige Möglichkeit, sich auf die Straße zu setzen und die Hand auszustrecken. Die große Mehrheit der Bettler/-innen in Mün- chen sind rumänische und bulgarische Staats- angehörige. Solange sie arbeitssuchend sind, werden sie nicht vom Sozialnetz aufgefangen und erhalten keine Sozialleistungen. Fast alle leben in dieser Zeit ohne Krankenversicherung und sind obdachlos. Bei denen, die Arbeit finden, wird oftmals der Mindestlohn unterwandert. Der Arbeiterstrich in Hauptbahnhof-Nähe ist beispielhaft hierfür. Ein Teil der Betroffenen ist nur temporär in München, andere leben bereits seit vielen Jahren hier. Diese Menschen haben vor ihrer Ankunft in München in der Regel niemals zuvor gebettelt, erst die Ausweglosigkeit in ihrer Heimat hat sie dazu gezwungen. Oft betteln sie nur ein paar Monate, um Kosten für Schulmaterial für ihre Kinder zu Hause zu decken oder Medikamente für kranke Familienangehörige zu kaufen. FAKTENCHECK Armutsmigration aus Südosteuropa Arm in München | 21

Ich muss mich nicht beschimpfen oder anpöbeln lassen. Fühle ich mich durch einen bettelnden Menschen belästigt, kann ich das Gespräch beenden oder „Nein“ sagen. Lässt sich die Situation allein nicht gut entschärfen, kann ich Vorbeigehende oder die Polizei hinzuziehen. Was kann ich tun, wenn ich mich durch einen bettelnden Menschen bedrängt fühle? 22 | Arm in München

Ich würde mir wünschen, dass die Menschen mehr Herzlichkeit zeigen. Ich habe mir meine Situation nicht ausgesucht – ich würde lieber gerne arbeiten gehen und alles.« L. ist blind und lebt in München auf der Straße Warum nicht? Auch auf die Gefahr hin, dass mein Gegenüber das Geld nicht so ausgibt, wie ich es erwarte. Ob und wie viel ich gebe, entscheide ich selbst. Was der bettelnde Mensch mit dem Geld macht, sollte ich ihm überlassen. Vielleicht kann ich es auch so sehen: Es handelt sich bei meiner Geldgabe um ein Geschenk, eine Spende. Spenden sind freiwillig und rechtlich nicht an eine Gegenleistung gebunden. Wenn ich kein Geld geben möchte, kann ich stattdessen den bettelnden Menschen fragen,was er im Moment konkret braucht. Vielleicht einen Einwegrasierer, ein Paar Socken, einen Schal oder neue Schuhe. Auch ein freundlicher Blick, ein Gruß oder ein paar Worte können Wertschätzung ausdrücken und mindestens so wertvoll sein wie eine im Vorbeigehen abgelegte Münze. Ich habe auch die Möglichkeit, mich ehrenamtlich in einer Einrichtung zu engagieren. Wenn ich dem bettelnden Menschen direkt kein Geld geben möchte, kann ich stattdessen Vereine, Verbände und Einrichtungen finanziell unterstützen, die sich speziell für Obdachlose und arme Menschen einsetzen. Diese sind häufig auf Spenden angewiesen. Soll ich obdachlosen und/oder bettelnden Menschen Geld geben? Arm in München | 23

Eine allgemeingültige Richtlinie gibt es nicht. Wer etwas geben möchte, kann sich fragen, was im Rahmen der eigenen Möglichkeiten leistbar und mit den eigenen Werten vereinbar ist. Fakt ist, die Menschen auf der Straße brauchen Hilfe. Ich darf mich selbst fragen, wofür ich selbst sinnhafter- oder sinnloserweise Geld ausgebe. Unterstütze ich bettelnde Menschen mit Geld oder spende ich an Organisationen und Vereine, dann investiere ich in Menschlichkeit und Solidarität. Keine schlechten Wertanlagen. Wie viel sollte ich geben? Gibt es da eine Empfehlung? Eine belegte Semmel oder ein Becher Kaffee mag nach meinem persönlichen Empfinden sinnvoller sein. Was aber, wenn es der zehnte Kaffee und die sechste Semmel an diesem Tag ist und das Gespendete deshalb im Müll landet? Dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sich der bettelnde Mensch noch nicht einmal mit einem „Dankeschön“ bei mir revanchiert, was mich wiederum vor den Kopf stößt und in mir den Eindruck der Undankbarkeit erweckt. Gutscheine haben den Vorteil, dass selbst entschieden werden kann, was gekauft wird. Sind Lebensmittel oder Gutscheine nicht sinnvoller als Geldspenden? 24 | Arm in München

Anregungen im Umgang mit Betteln Jeder von uns kennt diese Situation: Man begegnet auf der Straße im Alltag bettelnden Menschen und wird direkt angesprochen. Was also tun? Im Folgenden möchten wir ein paar Denkanstöße und Anregungen für eine solche Situation geben: Sehen Sie den Menschen. Schenken Sie Ihrem Gegenüber einen freundlichen Gruß und Ihre Aufmerksamkeit. Versuchen Sie Ihre Ängste, aber auch überbordende Zuwendung hinten anzustellen. Dies ermöglicht eine bessere Wahrnehmung der Situation. Sie entscheiden. Sie entscheiden, ob Sie helfen oder nicht. Wie und in welcher Form Sie helfen, unterliegt Ihrer Einschätzung der Situation und Ihren Möglichkeiten. Sie dürfen bewusst „Nein“ oder „Ja“ sagen. Sie können auch, wenn es Ihnen ein Anliegen ist zu helfen, eine Spende an eine anerkannte Organisation geben, die sich für Menschen in Not einsetzt. Akzeptieren Sie die Entscheidungsfreiheit. Als gebende Person werden Sie häufig nicht erfahren, was mit Ihrer Spende passiert. Diesen Umstand müssen Sie akzeptieren. Ab dem Zeitpunkt, ab dem Sie Geld geben, gehört es dem bettelnden Menschen. Er kann dann frei darüber entscheiden, wie das Geld eingesetzt wird. Geben Sie, was gebraucht wird. In der Regel ist das Geld. Möchte man lieber andere Dinge geben, sollte man vorher mit dem bedürftigen Menschen abklären, was er braucht. Setzen Sie Grenzen bei Belästigung. „Stilles Betteln“ stellt keine Belästigung dar. Wenn Sie sich jedoch von einem bettelnden Menschen belästigt fühlen, sagen Sie ihm ein deutliches „Nein“ und brechen das Gespräch ab. Aggressives Betteln muss nicht hingenommen werden. 25

BERATUNG UND UNTERSTÜTZUNG Bahnhofsmission München Hauptbahnhof Gleis 11, Bayerstraße 10 a, 80335 München Tel.: 089 59 45 76 www.bahnhofsmission-muenchen.de Bildung statt Betteln › Beratung für Zuwanderer/-innen aus Rumänen und Bulgarien Goethestraße 53, Büro 110, 80336 München Tel.: 089 72 44 99 200 www.caritas-integration-alveni-muenchen.de Infozentrum Migration und Arbeit Sonnenstraße 12 a, 80331 München Tel.: 089 5139 9855 www.awo-muenchen.de Schiller 25 › Beratung und Übernachtungsschutz Wohnungsloser Destouchesstraße 89, 80796 München Tel.: 089 360 06 26 0 www.schiller-25.de NOTAUFNAHME UND BERATUNG FÜR FRAUEN Frauenobdach KARLA 51 Karlstraße 51, 80333 München Tel.: 089 54 91 51 0 www.karla51.de Einrichtungen, die Beratung und Unterstützung anbieten – eine Auswahl 26 | Arm in München

TAGESTREFF UND BERATUNG Begegnungszentrum D3 Dachauer Straße 3, 80335 München Tel.: 089 55169 624 www.caritas-begegnungszentrum-d3.de Otto & Rosi Rosenheimer Straße 128 d, 81669 München Tel.: 089 32 80 86 69 www.awo-muenchen.de Teestube Komm › Tagestreff für obdachlose Menschen Zenettistraße 32, 80337 München Tel.: 089 77 10 84 www.teestube-komm.de TAGESTREFF MIT VERPFLEGUNG Obdachlosenhilfe Sankt Bonifaz Karlstraße 34, 80333 München Tel.: 089 55 171 0 www.sankt-bonifaz.de/obdachlosenhilfe/dienste WARME MAHLZEITEN Münchner Korbinian-Küche Standort Elisenstraße 5, 80335 München Tel.: 089 55169 741 www.muenchner-korbinian-kueche.de ANLAUFSTELLEN FÜR MENSCHEN OHNE KRANKENVERSICHERUNG Malteser Hilfsdienst Streitfeldstraße 1, 81673 München Tel.: 089 43 608 550 www.malteser.de Open.med Dachauer Straße 161, 80636 München Tel.: 0177 51 16 965 www.aerztederwelt.org Arm in München | 27

28 | Arm in München

Freiwilligenzentren (FWZ) Caritas München www.freiwilligenzentren-muenchen.de FWZ MITTE Tel.: 089 23 11 49 0 E-Mail: fwz-mitte@caritasmuenchen.org FWZ NORD Tel.: 089 316 06 310 E-Mail: fwz-nord@caritasmuenchen.org FWZ SÜD Tel.: 089 745 595 18 E-Mail: fwz-sued@caritasmuenchen.org FWZ OST Tel.: 089 920 04 63 0 E-Mail: fwz-ost@caritasmuenchen.org FWZ WEST Tel.: 089 82 99 20 18/19 E-Mail: fwz-west@caritasmuenchen.org SPENDENKONTO Caritas München und Freising Bank für Sozialwirtschaft IBAN: DE04 7002 0500 8850 0004 00 BIC: BFSWEDE33MUE Stichwort: Armutshilfe München / KST 406125 Sie möchten Geld spenden? Ihre Spende wirkt! Sie möchten Zeit spenden? Arm in München | 29

Danksagung an alle Mitwirkenden Einen besonderen Dank möchten wir an alle aussprechen, die uns einen Einblick in ihr Leben in Armut und auf der Straße gewährt haben. Aus München geht ein herzliches Vergelt’s Gott an den Caritasverband für die Stadt Köln e.V., der uns erlaubt hat, Textpassagen aus der Broschüre „Arm in Köln“ zu verwenden. Bedanken möchten wir uns herzlich bei Michael Laba, Kreisverwaltungsreferat München, Sven Müller, Polizeipräsidium München, und Frater Emmanuel Rotter von der Obdachlosenhilfe St. Bonifaz. Vielen Dank an unsere Kollegen/-innen für deren eindrucksvolle Beiträge: Tobias Deger, Jasmin Hasiba, Sarah Matheisen, Alexander Patij und Nikolas Patzold. Das Redaktionsteam besteht aus: Ute Bernauer, Nedialko Kalinov und Christine Rothe. IMPRESSUM Herausgeber i. S. d. Bayerischen Pressegesetzes (BayPrG)/ Dienstanbieter i. S. § 2 Telemediengesetz (TMG): Caritasverband der Erzdiözese München und Freising e.V. Hirtenstraße 2 – 4, 80335 München Telefon: +49 89 55169-0 Telefax: +49 89 55169-577 E-Mail: info@caritasmuenchen.org Vertretungsberechtigt: Vorstand, bestehend aus Prof. Dr. Hermann Sollfrank (Vorsitzender) Gabriele Stark-Angermeier Thomas Schwarz Rechtsform und Registereintragung: Eingetragener Verein (e.V.), eingetragen im Vereinsregister des Amtsgerichts München Vereinsregisternummer: VR 7706 Umsatzsteueridentifikationsnummer nach § 27a Umsatzsteuergesetz: DE 129 522 447 V. i. S. d. P.: Aleksandra Solda-Zaccaro Abteilung Kommunikation und Sozialmarketing Redaktionsleitung: Harald Bachmeier Geschäftsleitung Caritas München Hirtenstraße 2 – 4, 80335 München Telefon: +49 89 55169-741 E-Mail: office@caritasmuenchen.org www.caritasmuenchen-region.de Alle Rechte vorbehalten. Redaktionsschluss und Stand der Information: August 2023 Lektorat: Barbara Link, www.blink-text.de Fotos: Caritas München; Gerhard Berger Bild S. 7: Thomas de Luze, Unsplash Bild S. 19: AR, Unsplash Layout und Gestaltung: Die Guten Agenten, www.diegutenagenten.de 30 | Arm in München

Literatur und Websites Quellenverzeichnis und Fußnoten > Landeshauptstadt München, Kreisverwaltungsreferat, Hauptabteilung I, Sicherheit und Ordnung, Gewerbe, Allgemeine Gefahrenabwehr, KVR-I/222: Sicherheitsrechtliche Allgemeinverfügung über die Untersagung bestimmter Formen des Bettelns in Teilen des Stadtgebiets München, München, 01.08.2014 – Fußnoten 11) 12) > Landeshauptstadt München, Sozialreferat (Hsg.): Münchner Armutsbericht 2022, München, Juli 2022 – Fußnoten 1) S. 128 5) S. 20 7) S. 100 9) S. 63 > Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaften (Hsg.): Gesundheitliche Ungleichheit im Lebensverlauf – Neue Forschungsergebnisse und ihre Bedeutung für die Prävention, Leopoldina-Forum Nr. 2, Halle (Saale), Juni 2019 – Fußnote 8) > Der Paritätische Gesamtverband (Hsg.): Zwischen Pandemie und Inflation, Paritätischer Armutsbericht 2022, Berlin, 2. Aktualisierte Auflage, März 2023 Fußnoten 2) S. 5 3) S. 9 4) S. 20 > Sozialverband VdK Deutschland e.V.: Armutsfalle Nächstenpflege – VdK fordert Lohn für pflegende Angehörige, Pressemitteilung, Berlin, 27.09.2022 – Fußnote 10) > Staub-Bernasconi, Silvia: Kritische Soziale Arbeit – ohne auf eine Politisierungsphase Sozialer Arbeit warten zu müssen, S. 66. In: Stender, Wolfram/Kröger, Danny (Hsg.): Soziale Arbeit als kritische Handlungswissenschaft. Beiträge zur (Re-)Politisierung Sozialer Arbeit, Hannover, 2013 – Fußnote 6) Weiterführende Literatur für Interessierte > Bayerisches Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales (Hsg.): Fünfter Bericht der Bayerischen Staatsregierung zur sozialen Lage in Bayern, München, Juli 2022 > Caritasverband der Erzdiözese München und Freising e.V. (Hsg.): Wirkungsbericht 2021 Caritas München Stadt & Landkreis, München, Januar 2022 > Sechster Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, Berlin, Mai 2021 Websites > www.caritas-nah-am-naechsten.de > www.katholischearmutskonferenz.de > www.naechsteliebe.de Arm in München | 31

Wir fordern: mehr Chancen für die Integration von Migranten/-innen in den Arbeitsmarkt.

RkJQdWJsaXNoZXIy Mzg3MTE=