Online Beratung
Kontakt
Lehrerin zeigt mit einem Finger auf die Tafel | © Daniel Rupp


Schulsozialarbeit: Streitschlichter zwischen Schülern, Eltern und Lehrern

Hier zählt jeder - für ein gutes Miteinander an unseren Schulen

Seit einigen Jahren ist die Schulsozialarbeit aus dem deutschen Bildungsprogramm nicht mehr wegzudenken. Schüler, Lehrkräfte, Eltern – alle profitieren davon. Wolfgang Goß ist Caritasmitarbeiter und Schulsozialarbeiter an der Implerschule in München. Im Interview erzählt er was Schulsozialarbeit ist und was sie bewirken kann.

Was ist Schulsozialarbeit?
Schulsozialarbeit ist so vielfältig wie die verschiedenen Menschen, mit denen wir arbeiten. Schüler, Eltern, Lehrer, alle können mit den unterschiedlichsten Problemen zu uns kommen. Wir schlichten Streitigkeiten zwischen den verschiedenen Parteien und bilden auch Schüler dazu aus, zwischen Gleichaltrigen zu vermitteln. Streit zu schlichten ist in unseren Augen eine gruppendynamische Aufgabe, wir legen daher besonderes Augenmerk auf diese Prozesse. Die Schüler, die wir zu Streitschlichter ausbilden, sind zwischen zehn und sechzehn Jahren alt. Es gibt eigentlich keine Altersgruppe, die unsere Angebote überdurchschnittlich häufig oder selten in Anspruch nimmt. Je nach Alter ist dann natürlich auch die Sicht auf manche Dinge unterschiedlich. Auch darauf müssen wir entsprechend Rücksicht nehmen. Wir bearbeiten große und kleine Sorgen, aber auch gravierende Probleme und  "Kindswohlgefährdungen".

Warum ist Schulsozialarbeit so wichtig?
Unter anderem, weil der Hintergrund der Schüler an den Schulen immer bunter wird. Dazu gehört die unterschiedliche Herkunft, die Sozialisation, die Lebensverhältnisse. An der Implerschule haben 92 % der Kinder einen Migrationshintergrund, es sind die verschiedensten Nationalitäten vertreten. Wir haben Kinder aus dem europäischen, dem arabischen, dem afrikanischen Raum. Viele von ihnen bringen Dinge mit, die es ihnen erschweren, sich im deutschen Schulsystem von Anfang an zurechtzufinden. Das zu bearbeiten geht oft über das hinaus, was zu leisten von den Lehrkräften zusätzlich zu ihrem Lehrauftrag gefordert werden darf. Hier kommt die Schulsozialarbeit ins Spiel. Bei uns steht die Geschichte jedes Einzelnen im Mittelpunkt. Außerdem verfügen wir in der Schulsozialarbeit über Know-how in anderen Bereichen als Lehrkräfte, was in diesen Fällen hilfreich sein kann. Ich habe schon die Gruppendynamiken erwähnt, das greift auch hier.

Wir schauen uns den Hintergrund jedes Einzelnen genau an, machen etwa Hausbesuche. Wir haben uns zum Beispiel 2015, als viele Flüchtlinge in Deutschland ankamen, die verschiedenen Auffangeinrichtungen angesehen. Wir wollten einen Einblick zu bekommen, wie die von uns betreuten Kinder wohnen. Dabei haben wir viele Eindrücke und Erfahrungen gesammelt, die uns in der Arbeit mit besagten Jugendlichen sehr geholfen haben, gerade was das Verständnis für manche Dinge angeht. Hausbesuche machen wir entweder auf Bitte eines Beteiligten hin, oder wir fragen an, wenn wir das Gefühl haben, dass es in diesem Fall wichtig wäre.

Wann kann und sollte man Sie kontaktieren?
Von kleinen Sorgen bis zu großen Problemen kann man alles an uns herantragen. Kleinere Schwierigkeiten müssen definitiv ihren Platz haben, oft lässt sich da schon schlimmeres verhindern. Jeder kann man mit allem zu uns kommen, wir geben uns Mühe, alle Probleme anzugehen. In besonderen Fällen verweisen wir auch auf andere Stellen, wenn wir das Gefühl haben, dass das zielführend ist. Hier an der Implerschule haben wir Vorgaben vom JaS, dem Leitfaden für Jugendsozialarbeit an Schulen, nach denen wir besonderes Augenmerk auf benachteiligte junge Menschen richten. Das können Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund sein, aber auch solche, deren Eltern alleinerziehend oder einkommensschwach sind. Dank einer besonderen Finanzierung der Stadt München ist es uns hier auch möglich, präventiv tätig zu werden und manche Probleme schon zu bearbeiten, bevor sie entstehen.

So haben wir zum Beispiel in den letzten Tagen sogenannte Kennenlernspiele für die neuen Fünftklässler organisiert. Die Kinder bekamen dabei in einer fröhlichen Atmosphäre und auf spaßigem Wege mit, wie ihr Umfeld in Zukunft aussehen wird. Außerdem wollten wir vermitteln, dass Herkunft, Religion oder Kultur zwar Unterschiede aufweisen mögen, aber deshalb nicht trennen müssen. Die Schulsozialarbeit in München ist in diesen Bereichen sehr flexibel, weil wir aus verschiedenen Quellen finanziert werden, etwa aus Töpfen der Stadt und der Regierung.

Wolfgang Goss | © Wolfgang Goss
Wolfgang Goß, Schulsozialarbeiter an der Implerschule in München.
Wörterbücher Stapel | © Wolfgang Goss
Die Schülerinnen und Schüler an der Implerschule kommen aus vielen unterschiedlichen Herkunftsländern. Wörterbücher und Schulsozialarbeit sorgen dafür, dass die Verständigung klappt.

An welchen Schulen in München und Umgebung macht die Caritas Schulsozialarbeit?
Schulsozialarbeit an sich hat die Caritas nur in München, was mit der schon erwähnten Finanzierung zusammenhängt. In Oberbayern leistet der Diözesanverband diese Arbeit im Rahmen der staatlich geförderten Jugendsozialarbeit an Schulen, der schon erwähnten JaS. In der Landeshauptstadt selbst sind wir ziemlich gut aufgestellt: Neben verschiedenen Standorten der Schulsozialarbeit wie der Implerschule haben wir im in Zusammenarbeit mit einem EU-Projekt drei sogenannte Deutschklassen, in denen Kinder aus Migrantenfamilien auf den Übertritt in die regulären Schulklassen vorbereitet werden. Im Rahmen dessen werden auch immer wieder Projekte veranstaltet, wie die Kooperation mit dem Theater für Kinder in München im Frühjahr 2019. Die Kinder werden so auf verschiedene Weisen an die deutsche Sprache und Kultur herangeführt. Obwohl solche Projekte sehr beliebt sind, macht allerdings den größten Teil unseres Tuns die Sozialarbeit im engeren Sinne aus: die Beschäftigung mit der Einzelnen als Individuum. Das bedeutet Zuhören, die Geschichten und Lebensumstände kennenlernen, auf die ganz persönlichen Schwierigkeiten eingehen. Dabei warten wir nicht darauf, wer damit zu uns kommt, sondern gehen auch raus auf den Pausenhof und auf die Schülerinnen und Schüler zu. Ein niederschwelliger und einfacher Zugang ist sehr wichtig. Bei uns ist kein Termin notwendig, sondern unsere Türen stehen immer offen – für alle Mitglieder unserer Schule, und für alle Sorgen und Probleme, die sie mitbringen.

Welche Wirkung hat Schulsozialarbeit?
Nun, die Wirkung lässt sich hier an der Implerschule ganz gut nachvollziehen. Wir sind hier überdurchschnittlich gut aufgestellt, was Schulsozialarbeit angeht. Das Repertoire ist groß. Wir haben zum Beispiel im letzten Jahr eine psychotherapeutische Gruppe für Mädchen aufgebaut. Diese würden wir gern erweitern und für alle Geschlechter zugänglich machen, so sich Unterstützer finden. Oder die eingangs erwähnten Deutschklassen: 92 % unserer Schüler haben einen Migrationshintergrund, etwa jeder Fünfte ist aus dem Heimatland geflohen.
Wir bekommen gerade von den Lehrkräften eigentlich durchweg positive Rückmeldung: Seit die Schulsozialarbeit vor sechs Jahren an der Schule etabliert wurde, habe sich das Klima erheblich verändert. Die Atmosphäre sei angenehmer, freundlicher. Schüler halten einem die Tür auf. Es gibt wenig Gewalt, auch wenn wir natürlich hin und wieder Vorfälle haben. Aber die Rückmeldung der Schüler ist: Man muss hier in der Schule keine Angst haben und hat den Rücken frei zum Lernen. Es gibt keine Spannungen zwischen Ethnien, selbst wenn sich diese im Heimatland feindlich gegenüberstehen. Außerdem können sich Quereinsteiger, von denen es gerade bei den Flüchtlingen viele gibt, gut bei uns zurechtfinden. Wir haben immer wieder Veränderungen in der Zusammensetzung, je nach weltpolitischer Lage. In den Jahren 2015/16 hatten wir viele neue Syrer, Afghanen und Somalier. Jetzt kommen gerade recht viele Menschen aus verschiedenen afrikanischen Staaten, etwa dem Senegal und dem Kongo. Man kann sozusagen in den Nachrichten sehen, welche Ethnien demnächst häufiger bei uns vertreten sein werden. Da jeder Schüler bei uns zum Einstieg ein Wörterbuch Deutsch in der jeweiligen Muttersprache bekommt, lässt sich anhand dieser Stapel ein wenig erkennen, wie gerade das politische Geschehen in der Welt aussieht.

Interview: Daniel Gummert / Caritas München